Günther Oberhollenzer |
Die Schönheit des UnscheinbarenDas virtuose Spiel mit figurativer Form, Größe und Bedeutung in den neuen Malereien von Richard Kaplenig"Any incentive to paint is as good as any other. There is no poor subject. Painting is always strongest when in spite of composition, color, etc. it appears as fact, or an inevitability, as opposed to a souvenir or arrangement." Robert Rauschenberg Die kleine Apothekerflasche sei zufällig im Atelier gewesen, erzählt Richard Kaplenig. Keinen Finger groß steht sie unscheinbar auf einem Tisch, daneben liegen einige andere, recht belanglose Objekte. Doch in der Serie "SRA 1-3" wird das Fläschchen vom Künstler geradezu monumental ins malerische Bildzentrum gesetzt. In altmeisterlicher Manier und mit sichtbarer Freude am Gegenstand arbeitet Kaplenig unterschiedliche Lichtstimmungen und Dunkelwerte heraus, gestaltet den Umraum in diffusen Graublautönen oder strukturiert ihn durch streng gezogene, vertikale Linien. Wir blicken von einem leicht erhöhten Standpunkt auf das gläserne Gefäß - auf einem Bild ist es leer, auf einem anderen zu einem Drittel, auf einem weiteren zur Hälfte mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt. Von einer Lichtquelle angestrahlt lässt es schimmernde Reflexe entstehen, wirft, je nach Einfallswinkel, verschieden lange Schatten. Rot leuchten in der oberen Bildmitte die drei Buchstaben "S R A". Eine Überschrift suggerierend wirken die grafischen Zeichen wichtig und bedeutungsvoll - fast wie das Markenlogo für ein darunter angepriesenes Produkt. Doch es klärt sich nicht, wofür die Buchstaben stehen, noch welche vielleicht heilende Wirkung die wasserähnliche Flüssigkeit hat. Die neuen Bilder von Richard Kaplenig sind von einer geheimnisvollen Klarheit - so widersprüchlich das im ersten Moment auch klingen mag. Wir sehen großformatig gemalte Lusterhaken, Winkeleisen und Inbusschlüssel, einen Zuckerlöffel, sogar einen Trichter oder eine Glühlampe: es sind kleine, recht unbedeutende Gebrauchsgegenstände, die der Künstler als Motive auserkoren hat. Aus dem alltäglichen Umfeld entrissen erfahren sie durch seine Malerei Bildwürdigkeit. "Es ist egal, was du malst, wenn es gut gemalt ist", ist Kaplenig überzeugt. "Einen Lusterhaken zu malen ist nicht wirklich schwierig, das Entscheidende ist, dass es nicht dabei bleibt". Dem Künstler müsse es gelingen, durch Komposition und Bildaufbau, durch Farbwahl und Pinselduktus eine Spannung zu erzeugen, gehe es doch darum, dem Gegenstand "Kunst einzuhauchen". Das ist wohl das enorme Potenzial der Malerei überhaupt und auch die kreative Kraft der Bilder Kaplenigs: Dem banalen Alltagsgegenstand wird durch die Transformation in Öl- oder Acrylfarbe auf Leinwand eine neue Bedeutung zuteil, die über ein reines Abbild hinausgeht, ja hinausgehen muss. Vom realen Objekt losgelöst formt der Künstler ein malerisches Idealbild, auf der Suche nach der Essenz des Gegenstandes. Der Inbusschlüssel hat seine Funktion als Werkzeug abgelegt, er wird zu einer dynamischen, fast organischen Form in grauen, blauen und schwarzen Farbtönen, die, aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Lichtstimmungen gemalt, neue Räume öffnet, definiert und gestaltet. Größe und räumliche Präsenz lassen die Funktion des "Originals" bisweilen vergessen, in einem gemalten Winkeleisen glaubt man z.B. ein architektonisches Element, vielleicht auch ein Haus zu erkennen. Aus dem trivialen Alltagsobjekt kann durch die Kraft der Malerei etwas Besonderes, Einmaliges entstehen. Kaplenig spielt mit den Sehgewohnheiten der Betrachter. Wenn ein Objekt so selbstbewusst und monumental ins Bild gesetzt wird, dann muss das etwas ganz Wichtiges sein - so der suggerierte Eindruck. Die Bilder fordern uns auf, eine gewichtige Bedeutung in ihnen zu sehen, zu entdecken. Dabei sind Bedeutung und Inhalt das gemalte Bild, das Kunstwerk an sich. Kaplenig: "Sobald ich mit einem Bild eins werde und der Moment erreicht ist, bei dem man es nicht mehr erklären kann, dann ist die Malerei gelungen." Richard Kaplenig kopiert Straßen- und Landkarten von Regionen, die eng mit seinem Leben verwoben sind, wie z.B. Kärnten, die Staaten Ex-Jugoslawiens oder auch das Dreiländereck Österreich-Italien-Slowenien. In einem spielerischen wie schöpferischen Prozess zerreißt er die Karten in einzelne Stücke und setzt diese willkürlich neu zusammen. Die eingeleimten Kartenfragmente kaschiert er collageartig auf die Leinwand: Neue Landstriche entstehen, historische Grenzen verschwimmen, werden verschoben oder aufgelöst. Plötzlich befindet sich Bratislava neben Linz oder das Weinviertel grenzt an Kärnten. Die Landkarten bilden für viele Bilder eine reizvolle grafische Oberflächenstruktur, sie sind der unebene, verdichtete Grund, auf dem die Malerei entstehen kann - und vielleicht ist so auch die Angst des Malers vor der weißen, unangetasteten Leinwandfläche fürs Erste gebannt. Kaplenig trägt Schicht um Schicht auf, er überdeckt die Linien, Zeichen und Schriften oder lässt sie durch eine transparente Malweise noch leicht durchschimmern. Doch auch wenn die Straßen und Flüsse, die städtischen Ballungszentren und kleinen Dörfer unter den Farbflächen verborgen sind, verleihen sie den Bildern eine hohe, spürbare Dichte. Gelegentliche geopolitische Anspielungen sind durchaus erkennbar. Kaplenig interessiert sich für Politik, aber er ist kein politischer Künstler. Sein Leben, sein Alltag fließen in die Kunst ein, diese persönliche Inspirationsquelle steht aber immer im Dienst der Kunst, sie ist nie im Vordergrund oder Selbstzweck. Die Linien der Landkarte werden, so der Künstler, "zu Adern, die sich durch die Bilder ziehen". - So wie sich sein Leben durch die Bilder zieht, könnte man ergänzen. Richard Kaplenig ist ein Meister diffuser Raumstimmungen. Seine Farbpalette ist reduziert, die Lieblingsfarben sind derzeit Grau und Blau. Damit gelingen ihm vielfältige Schattierungen und Nuancen, denen leider (oder zum Glück?) keine Abbildung in einem Katalog völlig gerecht werden kann. Die großen, fast monochromen Flächen wirken wie marmoriert, darin eingebettet erscheinen die Fläschchen, Haken oder Winkel in Komposition und Malweise fast wie klassische Stillleben. Doch Buchstaben - manchmal auch flächige Formen und Zeichen, wie z.B. ein roter Stern - durchbrechen den einheitlichen Bildraum, sie verändern ihn und seine Wahrnehmung. "Das Bild verlangt danach", gibt sich Kaplenig selbstbewusst. Die Schriften oder Symbole sind ein Teil seines Spiels mit Bedeutungen, ihre Rolle liegt jedoch mehr in einer grafisch-kompositorischen Funktion denn in ihrem eigentlichen (Wort-)Sinn. Dabei sind die einzelnen Buchstaben oft nichts anderes als die Typenbezeichnungen des zu sehenden Gegenstands, wie etwa des Inbusschlüssels ("CV-12mm"). Auch die Gegenstände selbst ordnen sich - wie erwähnt - gerne der Malerei unter. Besonders augenscheinlich wird das in Werken wie "Trichter 1", in dem das Küchengerät (im Gegensatz zu "Trichter 2"), auf das Wesentlichste reduziert, als flächige, fast abstrakte Form in Erscheinung tritt. Die realen Objekte dienen als Ausgangspunkt für eine Malerei, die mit Farbe und Form, Licht und Schatten, Fläche und Raum poetisch wie sinnlich eine neue Wirklichkeit erschaffen kann. "Malerei, die am Punkt ist." Wenn Richard Kaplenig über seine Arbeit spricht, dann fällt dieser Satz immer wieder. Der Künstler tritt leidenschaftlich für die Malerei ein und seine Begeisterung ist ansteckend. Immer wieder wurde in den letzten hundert Jahren das Ende der Malerei ausgerufen oder zumindest der Versuch unternommen, sie gegenüber den Neuen Medien als überholt und antiquiert zu überführen. Sämtliche Möglichkeiten dieses klassischen Mediums seien nach einem finalen Aufbäumen im späten 20. Jahrhundert endgültig durchgespielt und ihre Potenziale somit ausgereizt. Doch die Malerei ist lebendiger denn je. Immer dann, wenn das Ende der Malerei verkündet wurde, ist diese mit ungeheurer Kraft zurückgekehrt, denn die Malerei gehört zu den unmittelbarsten Ausdrucksformen künstlerischer Kreativität und Vorstellungskraft. Bilder zu malen oder anzusehen stellt ein Grundbedürfnis des Menschen dar, wie uns auch die malerischen Welten von Kaplenig eindrucksvoll vor Augen führen. Dabei erlebt gerade die figurative Malerei im Sog der omnipräsenten Fotografie eine Neubewertung. (Fotografische) Bilder sind in unserer multimedialen Kommunikationsgesellschaft zwar allgegenwärtig und erscheinen immer wichtiger, das Einzelbild, die Einzelinformation verlieren aber an Bedeutung. Der digitalisierten Schnelllebigkeit unserer Mediengesellschaft steht die gemalte Langsamkeit des Tafelbildes gegenüber. Die (figurative) Malerei ermöglicht ein Innehalten im unendlichen Strom der elektronischen Bilder, die starre Leinwand eine Entschleunigung, eine "Speicherung des Moments", der dadurch über den Augenblick hinaus bestehen und wirken kann. Motiv und Inhalt kann dann auch ein schlichter Gegenstand wie ein Apothekerfläschchen sein - wenn dieses so meisterhaft gemalt ist wie jenes von Richard Kaplenig. Die Zitate von Richard Kaplenig stammen aus einem Gespräch mit dem Autor vom 21. Juni 2013. |